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Das Beginenhaus in Kempten

In: Heimat Allgäu. Zeitschrift für Heimatpflege Nr. 5/2007, 58–60

Ist es Ihnen schon mal aufgefallen an der Ampel vor der Kemptener Illerbrücke? Das Haus mit der braunen Fassade und den grünen Schaufenstern in der Burgstraße? Gönnen Sie ihm einen Blick, denn Sie stehen vor einem der ältesten Kemptener Häuser.

Hinter seinem unscheinbaren Äußeren verbergen sich wahre Schätze aus 650 Jahren Geschichte. Unzählige Menschen haben im Laufe von sieben Jahrhunderten hier am Eingang zu Kemptens Altstadt gewohnt. Eigentlich sind es sogar drei Gebäude, die im Mittelalter auf dem langgestreckten Grundstück zwischen der Burgstraße und der Stadtmauer an der Burghaldegasse errichtet wurden: Das große Vorderhaus trägt seit dem 19. Jahrhundert den Beinamen „Beginenhaus“, das Hintergebäude, das über die Stadtmauer hinausragt, die Bezeichnung „Nonnenturm“; verbunden werden die beiden Häuser durch einen Zwischentrakt und einen Innenhof.

Zwar weisen die historischen Hausnamen darauf hin, dass sich mit diesen Bauwerken eine besondere Geschichte verbindet, doch erst in den 1980er Jahren erkannte man, welch hochwertige Bausubstanz aus Mittelalter und Renaissance hier erhalten ist. Seit dieser Zeit steht das Gebäudeensemble unter Denkmalschutz, aber erst 2003 zeichnete sich eine konkrete Zukunftsperspektive für die Häuser ab: Der damals gegründete Förderverein Beginenhaus Kempten e.V. will die wertvollen Baudenkmäler im Herzen von Kempten denkmalgerecht sanieren und mit Rücksicht auf die Bausubstanz nutzbar machen. Es ist geplant, Büros und Praxisräume einzurichten und Raum für Vereine zu schaffen. Das Ensemble soll mit einem Café und einem Veranstaltungsraum zu einem lebendigen Anziehungspunkt in der Altstadt werden.

Anfangs setzten sich vor allem Frauen für das Projekt ein, inzwischen unterstützen auch Männer den Verein. Allen Mitgliedern ist gemeinsam, dass sie dem Verfall dieser zentralen Gebäude nicht länger zusehen und sich für die Sanierung engegaieren wolllen. Und sie können schon einige Erfolge verzeichnen: So gelang es, die öffentlichen Institutionen von der Tragfähigkeit des Sanierungs- und Nutzungskonzepts zu überzeugen. Die Stadt Kempten hat das Gebäudeensemble wieder in ihren Besitz genommen und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege bewies sein Vertrauen in Kompetenz und Arbeit des Vereins durch weitgehende Übernahme der Kosten für das sanierungsvorbereitende Gutachten. Der Verein finanzierte mehrere wichtige Notsicherungsmaßnahmen, um weitere Beschädigungen der historischen Bauteile zu verhindern; Sicherungsanker im Dachstuhl stützen die jahrhundertealte Konstruktion, neue Regenrinnen und ein Schutzdach über dem Zwischenbau verhindern weitere Schäden durch eindringendes Regen- und Schmelzwasser.

In ehrenamtlicher Arbeit wurden die archäologischen Untersuchungen der Verfüllungen in den Zwischenböden und Gewölbezwickeln durchgeführt. Zahlreiche Funde kamen beim Sieben zum Vorschein. Ein Raumbuch und viele Fotos dokumentieren den aktuellen Zustand der Gebäude. Jedes freigelegte Stück Geschichte hilft, den »Lebenslauf« der Häuser genauer zu beschreiben. Daher sammelt der Verein auch historische Fotos und führt Interviews mit ehemaligen Bewohnern oder anderen Zeitzeugen, die mit den Häusern Erinnerungen verbinden.

Mit Hilfe der intensiven Forschungen der letzten Jahre kamen immer mehr bemerkenswerte Details zutage. So zeigte die Holzaltersbestimmung, wie alt welche Gebäudeteile sind. Das Beginenhaus an der Burgstraße wurde 1357 – vor 650 Jahren! – als zweigeschossiges Steinhaus errichtet. Das Erdgeschoss des Nonnenturms ist wohl kurz nach der Fertigstellung der Stadtmauer nach 1310 an diese angebaut worden. 1393/95 kamen die oberen Geschosse und der heute noch erhaltene Dachstuhl dazu. Auch ein Verbindungsbau bestand wohl schon im Mittelalter, allerdings blieb davon nur die Parzellenmauer im Westen erhalten. Der heutige Zwischenbau ist neuzeitlich.

Vom 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hatten die Gebäude eine besondere Nutzung: Hier lebte und arbeitete eine fromme Frauengemeinschaft, die Schwestern im „Haus zur Stiege“, wie das Anwesen zu jener Zeit nach dem Aufgang auf die Stadtmauer genannt wurde. Die besondere Lage direkt am Illertor und an der Hauptstraße sowie die immense Größe der damaligen Räume und der Durchfahrt lassen vermuten, dass die Schwestern im Auftrag des Stadtherrn, des Fürstabtes von Kempten, hier Reisende und Pilger beherbergten. Solche Schwesterngemeinschaften gab es mehrere im spätmittelalterlichen Kempten. Zwischen zwei und zehn Frauen lebten in diesen Gemeinschaften in frommem Gebet und Keuschheit, aber ohne klösterliche Ordensregel, Klausur oder Ordensstracht.

Kurz nach 1500 schlossen sich die Kemptener Schwestern zusammen und kauften Grundstücke am Neustädter Tor, später Waisentor genannt, um dort das St. Anna-Kloster zu errichten. Die Gemeinschaft im Beginenhaus scheint schon einige Zeit früher aufgelöst worden zu sein, denn im späten 15. Jahrhundert kamen die Häuser in den Besitz reicher Patrizierfamilien. Sie statteten die großen und hohen Räume mit wertvollen Täfelungen aus, ließen die Wände mit bunten Rankenmustern bemalen und reich verzierte Kachelöfen einbauen. Obwohl das Vorderhaus schon für die damalige Zeit sehr groß war, stockte man 1584 das Gebäude noch um ein weiteres Wohngeschoss auf und versah es mit einem neuen Dachstuhl. Das Gebäudeensemble gehörte damals der Familie Dorn, die mit Raimund Dorn einen Bürgermeister stellte und über Generationen bedeutende Ämter in der Reichsstadt Kempten bekleidete. Glücklicherweise wurde in den Häusern im 19. und 20. Jahrhundert kaum etwas an der mittelalterlichen Grundkonstruktion und der wertvollen frühneuzeitlichen Ausstattung verändert, so dass dieses bedeutende Anwesen bis heute erhalten blieb.

Wer sich für die baulichen Besonderheiten interessiert, kann die Häuser bei Führungen besichtigen. Wer den Vrein unterstützen will, ist jederzeit herzlich willkommen. Denn bis zur Sanierung und Wiederbelebung des Beginenhaus-Ensembles ist es noch ein weiter Weg, auch wenn der junge Verein schon viele Erfolge verbuchen konnte.

Birgit Kata, Beginenhaus Kempten e.V.

5. November 2007
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